Wikinger-Projekt hält Jugendliche über Wasser

Heinrich Jenkel und Haiko Theel vor der WikThor (Foto: Madeleine Hofmann)

 

Der Verein „Alte Schule“ ist ein Anker für junge Arbeitslose

Inmitten der zahlreichen Messestände auf der Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB) fällt die WikThor in Halle 4.1 sofort auf. Das 14 Meter lange Wikingerschiff in Form eines riesigen Seeungeheuers wird von Haiko Theel mit einer Axt bewacht. Obwohl er das wilde Outfit eines Wikingers trägt – Gewand mit Fellschal und dicke Wollsocken in Ledersandalen – jagt er niemandem Angst ein. Er lässt sich geduldig fotografieren und führt Interessierte an Bord des Segelschiffs.

Normalerweise steht die WikThor nicht in Berlin, sondern liegt am 270 Kilometer entfernten Ratzeburger See in Schleswig-Holstein. Dort trägt sie Schüler sicher über das Gewässer zu Aufenthalten in einem der Gästehäuser von Alte Schule e.V. Der Verein wurde 1982 von Christof Müller gegründet. Sein Nachbar, Heinrich Jenkel, war von Anfang an als Techniker am Projekt beteiligt. Er erinnert sich noch gut: „Zu dieser Zeit waren viele Pädagogen höchst unzufrieden mit dem Angebot der Jugendherbergen. Christof wollte deswegen sein eigenes Ding machen und eröffnete ein Tagungshaus in einer – wie der Name des Vereins verrät – alten Schule.“ Die Namensgebung sollte aber auch auf die konservativen Werte verweisen, die der Verein vermittelt: „Wir wollten weg von der weit verbreiteten Profitgier und wieder hin zur Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch und sozial“, erklärt Jenkel. „Dafür nahmen wir auch in Kauf, erst einmal kein und später sehr wenig Gehalt zu bekommen.“

200 Jugendliche bauen ein Schiff

Zu der Tagungsstätte am Ratzeburger See kamen schnell weitere Begegnungsstätten und Jugendhäuser in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. „Teilweise bereiteten die Gäste ihre Aufenthalte selbst vor, aber wir organisierten zum Beispiel auch Begegnungen zwischen Jugendlichen aus Ost- und Westdeutschland“, erinnert sich Jenkel.  „Wir hatten Kindergärten, sozial schwache Gruppen, Schulklassen, aber auch gewerkschaftliche und politische Jugendgruppen zu Gast.“ Auch Jürgen Trittin soll einmal da gewesen sein.

Die Projekte der „Alten Schule“ kamen so gut an, dass das Arbeitsamt Radebusch den Verein zu einem „ABM-Projekt“ machte. Fortan kamen arbeitslose Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen im Rahmen einer Bildungs- und Beschäftigungsmaßnahme in die Projekte. Sie arbeiteten nicht nur in den Jugendhäusern mit, sondern halfen auch beim Bau der auf der Messe ausgestellten WikThor: „Wir wollten etwas schaffen, mit dem sich die Jugendlichen identifizieren konnten“, erklärt Jenkel die Idee, ein Wikingerschiff nachzubauen. „Christof Müller ist einfach ein alter Dänemark- und Wikingerfreak.“ 200 arbeitslose Jugendliche halfen beim Bau mit. Dafür erhielt der Verein den Deutschen Kinderkulturpreis des Jahres 2000.

Wikinger-Exkursionen zeigen neue Perspektiven auf

Heute gibt es sogar noch ein zweites Schiff, auf dem Kinder- und Jugendgruppen mitfahren können. Die Crew, die aus zwei Pädagogen und zwei Jugendlichen besteht, bringt der Besatzung an Land dann noch wahlweise Bogenschießen, Schmieden oder Axtwerfen bei und rundet die Tage mit Lagerfeuer und Wikingergeschichten ab. Es arbeiten jährlich 25 Jugendliche bei Alte Schule e.V.: als Servicepersonal in den Jugendherbergen und in der Schiffsinstandhaltung. „Heute nennt man das Ein-Euro-Jobber“, bedauert Jenkel. „Aber die Jugendlichen bekommen hier bei uns mehr als nur eine Beschäftigung.“ Um den Arbeitslosen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln, ihr Sozialverhalten zu fördern und ihnen eine Perspektive zu geben, unternehmen die Pädagogen von Alte Schule e.V. mit ihnen Schiffsexkursionen ins europäische Ausland, wo sie sich mit anderen Jugendlichen austauschen können. „Nach ihrem Einsatz bei uns können viele Jugendliche wieder ins Arbeitsleben eingegliedert werden“, freut sich Jenkel.  „Und wenn sie keinen Job finden, haben sie zumindest unser Vereinsmotto verinnerlicht, das sie sich in schwierigen Situationen wieder in Erinnerung rufen können: Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, ist es gut ein Schiff zu haben.“

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Vereinsreisen in Konkurrenz zu kommerziellen Reiseanbietern

Vereine müssen sich um Ferienkinder bemühen. Alexandra Ehlers vom Landesjugendring Schleswig-Holstein berichtet, die Anmeldezahlen für Verbandsreisen seien in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. Als einen Grund dafür sieht der Verband die Ganztagsschulen. „Kinder haben einfach immer weniger Zeit für die Mitgliedschaft in Sportvereinen“, erklärt Ehlers. Früher waren die Ferienlager von Sport- und Musikvereinen Selbstläufer. Heute bemühen sich die Verbände um Mitreisende. Für die Suche nach dem passenden Ferienprogramm hat der Landesjugendring Schleswig-Holstein deshalb das Internetportal www.ferienbörse-sh.de für Verbandsreisen gegründet. Über das Portal sollen die Eltern die gemeinnützigen Vereine wiederentdecken.

Eltern suchen ein passendes Ferienprogramm für ihre Kinder häufig online. Große kommerzielle Reiseanbieter haben dadurch Vorteile. Sie stehen bei Google weit oben. Entweder wegen bezahlter Anzeigen oder auf Grund von professionellem Online-Marketing. Sportvereine sind oft weniger  professionell im Internet unterwegs. Deshalb werden ihre Reiseangebote nicht so einfach gefunden. Das Internetportal www.ferienbörse-sh.de ist ein Beispiel dafür, wie  die Vereinsreisen im Internet präsenter gemacht werden.

Auch den demografischen Wandel spüren die Vereine. Es gibt bis zu fünfzehn Prozent weniger Kinder und Jugendliche im Reisealter als noch vor zehn Jahren. Alexandra Ehlers vom Landesjugendring Schleswig Holstein erinnert sich: „Zu meiner Zeit waren wir 100 auf einer Freizeit, heute fahren nur noch zwischen 60 und 80 Kinder mit.“ Neben diesem Punkt gibt es auch viele Eltern, die ihre Kinder mit kommerziellen Reiseanbietern wie RUF in die Ferien schicken, anstatt mit Sportvereinen. „Bei Kinder- und Jugendverbänden steckt immer eine Idee dahinter. Sie setzen auf Gemeinschaft, auf den Sport oder sind politisch engagiert. Bei RUF ist die Freizeit irgendwann vorbei und die Kinder sind wieder weg.“ Das könnten Eltern auch als Vorteil sehen, vermutet Ehlers. Es ist kein weiteres Engagement gefragt, wie es bei einem Verein der Fall wäre. Für Eltern zählen der Preis, der passende Zeitpunkt während der Ferien und die Qualität. Das erfüllen auch kommerzielle Reiseveranstalter. Wenn die drei Punkte erfüllt sind, suchen Eltern oft nicht weiter. Obwohl die Vereine  auch darüber hinaus etwas zu bieten haben: Soziales Engagement, feste Bezugspersonen über die Reise hinaus und regionale Verbundenheit.

Die Preise von Vereinsreisen und Reiseanbietern haben sich angeglichen. Was bei den Reiseanbietern fehlt ist allerdings die Förderung bedürftiger Kinder und Jugendlicher. Diese ist nur bei den gemeinnützigen Vereinen gegeben. Generell sehen Ehlers und Jensen Anbieter wie RUF nicht als tatsächliche Konkurrenz. Schließlich sei die Bindung an regionale Verbände viel größer. „Hier geht es um das Wir-Gefühl. Für viele Mitglieder ist die Freizeit das Highlight des Jahres. Und das besteht auch über die Reise hinaus weiter.“  Ein Viertel bis ein Drittel der Kinder und Jugendlichen werden nach einer Freizeit auch im Verein aktiv, schätzt Jensen. Er erklärt, dass die meisten Vereine aber nicht darauf aus seien, viel mehr Kinder als ihre eigenen Mitglieder mit in die Ferien zu nehmen. „Dieses finanzielle Potential sehen die meisten Verbände gar nicht.“

Wenig Konkurrenzdenken von RUF

Im Gegensatz zu den Vereinen haben die kommerziellen Jugendreiseveranstalter keine Probleme. Seit Jahren steigen die Zahlen der Reisenden. Beim Marktführer für Jugendreisen RUF waren es 2010 noch rund 70.000, zwei Jahre später schon 80.000 Kinder und Jugendliche. Inga Krusch, Pressesprecherin bei RUF, sieht eher ein Miteinander mit den Vereinen als eine starke Konkurrenz. „Wenn die klassischen Sportverbände eine Konkurrenz für uns sind, dann weil sie so Viele sind. Außerdem haben sie einfach eine jahrzehntelange Tradition.“ Die Vorteile der großen Reiseveranstalter sind ihre flächendeckenden Angebote. Die Zielgruppe ist größer, weil sie nicht auf eine Region beschränkt ist. Überraschenderweise gibt es auch bei RUF eine langjährige Bindung. Alleine bei den unter 20 Jährigen gibt es einige, die schon zehn Mal und mehr mitgefahren sind. Auch hier haben sich also die kommerziellen Reiseveranstalter an die Vereine angeglichen.

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Von den (Groß-) Eltern gebucht – Reiseveranstalter werben um Eltern und Kinder gleichermassen

Kinder und Jugendliche bieten ein großes Potential für Reiseveranstalter. Schließlich haben sie viel mehr Ferien als ihre Eltern. Doch sind diese immer noch der wichtigste Ansprechpartner, denn nur sie können die Reisen buchen. Deshalb fahren die meisten Reiseanbieter zweigleisig: Sie versuchen Eltern und Kinder parallel für ihr Angebot zu begeistern.

Der Sprachreiseanbieter „Oskar lernt Englisch“ setzt auf das Internet und Feste, um Kinder- und Jugendlichen auf sich aufmerksam zu machen. Sie haben einen Facebook-Account und sind bei Twitter aktiv. In den Social Networks starten sie häufig Mitmachaktionen, um Kinder- und Jugendliche für ihre Angebote zu gewinnen. Zum Beispiel können die Kinder auf Fotos nach dem Maskottchen Oskar suchen.  Ihre aktuelle Aktion ist allerdings offline: Aus dem Flyer können die Kinder ein Schiffchen falten. Damit setzen sie auch bei den Jüngeren in Klasse eins bis drei an. „Die Eltern freuen sich, wenn auch schon ihre Kleinen Englisch lernen können“, erklärt Mathias Metzner, Campkoordinator. Um mit ihrer Zielgruppe in Kontakt zu treten organisiert „Oskar-lernt-Englisch“ Projektwochen an Schulen und ist auf Kinderfesten präsent. Sie stehen ständig und direkt mit der Zielgruppe in Kontakt. Der Weg zur Reise mit „Oskar lernt Englisch“ führe dennoch vor allem über die Lehrer und Eltern. Hier erfolgt der Kontakt weniger spielerisch wie bei den Kindern, sondern über Flyer, den Internetauftritt und über die Schulen.

Im Bereich der Jugendherbergen sind die Großeltern immer öfter die treibende Kraft für die Reise. Markus Hirschberg vom Deutschen Jugendherbergswerk Berlin-Brandenburg erkennt in den letzten Jahren den Trend zu Familienreisen mit der Jugendherberge als Unterkunft. Auch die Großeltern werden hier immer aktiver. Sie wollen gerne Urlaub mit ihren Enkeln machen. „In den Jugendherbergen müssen sie sich keine Gedanken über umgekippte Tassen machen. Das ist viel unkomplizierter als im Hotel“, erklärt Hirschberg. Die Großeltern ständen an zweiter Stelle, nach den Eltern, wenn es um die Herbergsbuchung geht. Die Lehrer machen den dritten Platz. Das Bewusstsein, dass Jugendherbergen sich auch für den Privaturlaub eignen ist in den letzten sechs Jahren gestiegen. „Das freut uns sehr“,  sagt Hirschberg. Die Information über die Unterkünfte erfolge primär online. Gebucht würde allerdings immer noch häufig über das Telefon. Doch auch die Internetbuchungen nehmen zu. In Brandenburg gibt es die Möglichkeit, den Aufenthalt in den Jugendherbergen online zu buchen, allerdings erst seit 2012.

Online buchen liegt im Trend

Der Trend zur Onlinebuchung ist auch insgesamt zu erkennen. Das ergeben die Erhebungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Von 2011 auf 2012 stieg die Zahl der über das Internet gebuchten Reisen um sechs Millionen.  Mehr als ein Drittel der Familienreisen werden schon online gebucht. Damit sind Onlinebuchung, Reisebüro und Katalog fast gleichauf. Auch die Buchung über Smartphones wird immer wichtiger. Die GfK geht davon aus, dass Buchungsapps in den nächsten Jahren eine immer größere Rolle spielen werden.

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