Zwischen Strand und Messe ist da noch der Präsident
„Hugo Chavez ist tot“. Diese Radionachricht ließ mich heute morgen auf meinem Weg zur ITB aufhorchen. Ich hatte sofort das Gefühl, dass dies das perfekte Thema für meinen ersten young press-Artikel ist:
„Ich werde eine Interview mit einer Venezolanerin oder einem Venezolaner führen.“ Hat zwar nicht viel mit Reisen zu tun, aber ich finde es neu, wichtig und überaus interessant (diese drei Merkmale braucht ein guter Beitrag, wie ich gestern gelernt habe). Der venezolanische Präsident Chavez war eben kein gewöhnlicher Politiker, sondern seit über fünfzehn Jahren trotz Putschversuchen und Generalstreiks im Amt. Er versprach, das Land auf den „Pfad des Sozialismus des neuen Jahrhunderts“ zu führen, er war der Commandante.
Nachdem ich in unserem Büro den Wikipedia-Artikel über Hugo Chavez durchgeackert habe und gefühlt hundert Google-News durchgegangen bin, mache ich mich auf den Weg in Halle 3.1, wo der venezolanische Stand zu finden ist.
Wie finde ich jetzt einen Interviewpartner oder eine Interviewpartnerin? Nachdem ich meine Schüchternheit überwunden habe, frage ich einen wichtig aussehenden Businessmenschen. Er verspricht mir, dass ich in wenigen Minuten jemanden mit meinen Fragen bombardieren kann.
Während mich leichtbekleidete Frauen und Männer von den großen Propagandabildern her anlachen und in ihr Paradies hineinziehen wollen, gehe ich im Kopf noch einmal meine Fragen durch: Wie haben sie vom Tod erfahren? Was war ihre erste Reaktion? Glauben sie, dass sich jetzt viel in ihrem Leben ändern wird? Ich erinnere mich daran, offene Fragen zu stellen, damit ich Platz für die Geschichten der oder des Interviewten lasse.
Doch ich werde enttäuscht. Als ich der jungen Frau, auf die ich gewartet habe, mein Anliegen schildere, schreckt sie kurz zurück und blockt dann mit einem unsicheren Lächeln ab. Sie könne leider kein Interview geben, sie sei nur Repräsentantin des Landes. Außerdem sei der zuständige offizielle Vertreter direkt nach der Nachricht von Chavez´ Tod zurück nach Venezuela geflogen.
Ich muss umdisponieren.
Wie kann ich daraus jetzt noch einen Artikel machen, damit ich nachher um 17 Uhr nicht mit leeren Händen dastehe?
Ich versuche sie in ein Gespräch zu verwickeln, indem ich nach anderen Dinge frage. Das klappt auch ganz gut und ich stelle einfach während dieses Gespräches meine vorbereiteten Fragen, nur ohne Aufnahmegerät. Sie durchschaut meine Taktik des versteckten Interviews aber schnell und will das Gespräch beenden. Als Ausgleich verspricht sie, mir eine Pressemitteilung zu schicken, in der Länder wie Kuba oder Bolivien ihre Trauer um den Tod des Präsidenten ausdrücken.
Das reicht mir aber nicht und ich hake weiter nach. Mehr als vage Andeutungen, dass es für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sie natürlich ein Schock gewesen sei, aber die offizielle Anweisung laute, die Arbeit fortzusetzen, kriege ich nicht aus ihr heraus. Relativ schnell ist das Gespräch dann doch beendet.
Als sie mich dann auch noch bittet, ihren Namen nicht zu nennen, kommen Fragen in mir auf. Erlebe ich hier gerade live mit, wie in Venezuela mit Meinungsfreiheit umgegangen wird? Oder ist diese Situation nur der Unsicherheit der Venezolanerin geschuldet?
Ich nehme auf jeden Fall den Eindruck mit, dass ihr die Situation äußerst unangenehm war. Bestimmt wird mich dieses Erlebnis an den verbleibenden Messetagen weiter beschäftigen. Interessant fände ich es, einmal mit einem venezolanischen Journalisten über diese Geschichte und die Lage im Land zu sprechen. Vielleicht klappt das ja noch auf der ITB.